Sicher, es ist schwer, das Positive in der Pandemie zu sehen und alle Veränderungen in der Foodservice-Branche einfach hinzunehmen; vor allem, wenn diese Veränderungen wie eine Flutwelle ohne Vorwarnung auf die Branche getroffen sind. Und ja, es wäre zynisch von Covid-19 als positivem Impuls zu sprechen, angesichts der Schließungen und Einschränkungen in fast allen Bereichen, den Lockdowns und verlorenen Jobs.

Trotz alarmierender Zahlen und der Tatsache, dass die Pandemie noch lange nicht vorbei ist, zwingt Covid-19 uns dazu, die Branche umzugestalten und neu zu erfinden. In wenigen Monaten ist ein Wandel eingetreten, den wir sonst erst in Jahren gesehen hätten.

 

Erzwungene Kreativität

“Der einzige Weg raus ist hindurch”, dieses Zitat von Robert Frost scheint das Gefühl vieler in der Foodservice-Industrie perfekt auszudrücken. Einfach durchkommen. Geschäftsstrategien werden überdacht, Konzepte angepasst und neue Ideen für eine Zukunft nach einer Pandemie entwickelt. Nach dem Schock über die ersten Lockdowns und Einschränkungen sind viele Unternehmen über sich hinausgewachsen und haben wie nie zuvor Kreativität und Unternehmergeist bewiesen.

Die breite Umstellung auf Pickup-Lösungen als Außerhausgeschäft und die Lieferung von Lebensmitteln bietet eine sichere Möglichkeit, trotz allen Hindernissen Bestellungen entgegenzunehmen und gleichzeitig fehlende Umsätze im Restaurant zumindest teilweise zu kompensieren.  „Cook it yourself“ Lösungen mit dekonstruierten rohen Lebensmittelnund Kochanleitungen – manchmal sogar per QR-Code und Video – lassen in den eigenen vier Wänden perfekte Gerichte entstehen. Und wenn der Wein für den Abend vergessen wurde, kann er mit einer passenden Empfehlung ihres Restaurants um die Ecke abgeholt werden. So freuen sich auch die Winzer, die ebenfalls hart getroffen wurden. Für Kunden, die auch während der Pandemie immer in Eile und beschäftigt sind, ist ein Food-Abo für wiederkehrende Bestellungen ein willkommenes Angebot. Und die schon vor der Pandemie entstandenen Ghost-Kitchen schöpfen gerade ihr volles Potenzial aus und werden in Zukunft zu hybriden Konzepten führen, die eine größere Vielfalt bieten, um eine noch breitere Kundenbasis anzuziehen.

Das zuvor Undenkbare geschieht mit Erfolg, die Branche steht auf dem Kopf. Das wäre auch ohne Covid-19 geschehen? Vielleicht, aber nicht mit diesem Esprit und der hohen Geschwindigkeit. Es ist interessant zu sehen, dass viele dieser Ideen und Konzepte eine Geschichte erzählen und nicht nur primär kostenzentriert sind – es geht somit um nachhaltige Strategien zur Sicherung des Geschäfts und für eine Zukunft nach einer Pandemie. Die ganze Branche steht und sagt “hey, wir sind für euch da, egal was passiert”. Es gibt keinen besseren Beweis dafür, wie viel Potenzial in dieser Branche noch steckt.

Checklisten und KPI’s

 Sicher, die Foodservice Branche war schon immer verfahrens- und checklistengesteuert. Aber seien wir doch ehrlich: Viele dieser Checklisten zum Beispiel wurden nicht ernst genommen. Es gibt die berühmte ausgedruckte Temperaturcheckliste von Kühl- und Gefrierschränken, die schnell abgehakt wird, ohne auch nur in die Nähe des Displays oder des Thermometers zu kommen – eine weitere Checkliste ohne Aussagekraft.

Covid-19 hat das Bewusstsein dafür geschärft, wie wichtig – ja geradezu existenziell – eine genaue und ehrliche Handhabung ist. Dokumentationen und Checklisten werden nicht mehr als notwendiges und bisweilen lästiges Übel angesehen, sondern als ein Baustein für ein solides Fundament aus Sicherheits- und HACCP-Maßnahmen. Es entsteht ein potenzieller Wettbewerbsvorteil, wenn es darum geht, die Gesundheit anderer und damit das eigene Geschäft zu sichern.

Die Dokumentation von Daten war noch nie so einfach, dank leicht zugänglicher digitalisierter Lösungen.Temperaturprotokolle, Lebensmitteleinsatz- und abfall, Hygienedokumentation und Personalplanung können soautomatisiert werden und liefern jederzeit wichtige KPI’s auf Knopfdruck. Die Foodservice-Industrie hat in der Fläche zu lange mit der Akzeptanz und Implementierung dieser Systeme gekämpft. Die Notwendigkeit und offensichtlichen Vorteile führen dazu, dass die Digitalisierung der Foodservice-Prozesse in einem atemberaubenden Tempo voranschreitet.

Zur Implementierung dieser Instrumente werden Widerstände überwunden, wird Geld und Zeit investiert werden müssen. In einem Post-Pandemie Szenario lässt sich die Bedeutung nicht wegdiskutieren und garantiert, dass wir für jede Herausforderung, die sich uns in Zukunft stellen könnte, besser gerüstet sind.

Lebensmittelversorgung am Limit

Die Auswirkungen von Covid-19 trafen einige Bereiche der Lebensmittelversorgung wie ein Erdbeben. Unser globales Nahrungsmittelsystem und Versorgungskette sind darauf ausgerichtet, Kalorien mit hoher Effizienz zu produzieren, was in den letzten Jahrzehnten zu einer erheblichen Verringerung der Unterernährung weltweit geführt hat.

Das System wird mit zunehmender Komplexität seiner Einheiten immer störanfälliger. Die Produktion und Verarbeitung von Nahrungsmitteln sowie der Vertrieb stehen durch die Pandemie vor systemischen Herausforderungen, die wir in dieser Intensität noch nie zuvor gesehen haben: fehlende Arbeitskräfte in der Landwirtschaft aufgrund von Einschränkungen in der Reisefreiheit und Restriktionen, wenn es um den In- und Export von Nahrungsmitteln geht. Letztendlich Covid-19-Ausbrüche in den Betrieben der Fleischindustrie und damit notwendige Schließungen, die eine notwendige Diskussion befeuert haben, ob wir so wie bisher Fleisch produzieren dürfen.

Dieser Systemschock des Systems hat uns eine Lektion gelehrt: Wir müssen kritisch überdenken, was in der Vergangenheit funktioniert hat und worauf wir so lange vertraut haben. Die Karten wurden durch Covid-19 neu gemischt. Nach einer Studie von Deloitte gibt es drei Hauptthemen, die wir als Takeaway für die Foodservice-Industrie herausziehen können:

  1. Transparenz in den Fokus
    Die Forderung der Kunden nach transparenten Prozessen wurde durch die Herausforderung beschleunigt, nachhaltige Praktiken nachzuweisen. Es ist zu erwarten, dass multinationale Unternehmen diese Transparenz vorantreiben werden. Nicht nur weil sie sich dem Druck der Konsumenten beugen, sondern hieraus neue Geschäftsstrategien entstehen werden. Die Foodservice-Branche kann davon ebenfalls profitieren, wenn sie es schafft, diese Transparenz in Konzepten und der Kommunikation erlebbar zu machen.
  2. Kunde 3.0
    Covid-19 hat die Menschen gezwungen, sich einer völlig neuen Situation anzupassen und vieles, das selbstverständlichwar, aus einer anderen Persepektive zu sehen. Dies wird dazu führen, dass die in der Pandemie “erlernten” neuenGewohnheiten teilweise beibehalten wurden. Die Bestellung von Lebensmitteln über E-Commerce, das Kochen zu Hause und mehr Auseinandersetzung mit Lebensmitteln und deren Herkunft, aber vor allem der Trend zur Online-Bestellung im Restaurant werden sich fortsetzen.  Auch kleine Restaurants können von diesen neuen Kundengewohnheiten profitieren, wenn sie jetzt ihre Konzepte anpassen.
  3. Mehr Flexibilität
    Erfolgreich durch die Pandemie zu navigieren oder zu scheitern liegen dicht beieinander. Eine erhöhte Flexibilität ermöglicht es Unternehmen, sich schnell auf die vor ihnen liegenden Herausforderungen einzustellen. Flexibilität geht damit einher, dass man vorbereitet ist: effiziente und agile Verfahren im Betrieb, qualifiziertes Personal durch Training und Worst-Case Pläne für Störfälle wie Covid-19.

Photo by Richard Balog on Unsplash

Das neuen Wir

 Die Menschen neigen dazu zu denken, dass wir in einer Krise zu egoistischen und unausstehlichen Individuen werden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Wie keine andere Krise zeigt Covid-19, dass Menschen zusammenhalten, wenn es wirklich darauf ankommt. Trotz Betriebsschließungen und unvermeidlichen Kündigungen war es die Gastronomiebranche, die einen großen Teil der positiven Bilder lieferte, wenn es darum geht, positiv zu bleiben und Durchhaltewillen auszustrahlen. Aber auch gerade der Wille Menschen zu helfen, die am meisten unter der Pandemie leiden, tritt deutlich hervor.

Beispiele für Unterstützung und Zusammenarbeit gibt es viele. Wir sehen, wie Teams besser als je zuvor zusammenarbeiten, um sicherzustellen, das Unternehmen nicht nur überleben, sondern gestärkt aus der Krise hervorgehen. Viele Maßnahmen und Aktionen, die das Überleben der Branche sicherstellen sollen, sind direkt auf die Kreativität und die Zusammenarbeit der Mitarbeiter – das “neue Wir” – zurückzuführen. Es ist beruhigend zu sehen, dass eine Krise das Beste in vielen Menschen zum Vorschein bringt.

Das “neue Wir” ist etwas, das wir über die Pandemie hinaus tragen werden. Es erinnert und lehrt uns an die Bedeutung von Gemeinschaft und Werten, es definiert uns als Kollegen und Manager, was immer die Zukunft für uns bereithält.

Eine neu definiertes Team

Eines der wichtigsten Themen während der Pandemie war und ist Arbeit. Es ging ausnahmsweise nicht darum, Menschen zu finden, sondern darum, wie man sie z.B. über Kurzarbeit in Arbeit halten oder manchmal leider auch loswerden konnte – das klingt hart, ist aber eine Tatsache. Allein der Branche dafür die Schuld zu geben wäre einfach und ist hinsichtlich der teilweise fraglichen staatlichen Einschränkungen zu kurz gegriffen.

Sagen wir es einfach wie es ist: für viele Beschäftigte in der Gastronomie ist Covid-19 mit seinen Einschränkungen und Lockdowns ein Alptraum, der kein Ende zu nehmen scheint  und Ängste vor einer unberechenbare Zukunft hervorruft.

Doch lange vor der Pandemie war es offensichtlich, dass die Foodservice-Branche dringend Veränderungen braucht, da einfach keine Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Zwischen 65-70% der Gastronomiebetriebe litten unter Personalmangel.  Allein in den USA wurde geschätzt, dass bis 2025 ungefähr 200.000 Köchinnen und Köche fehlen.

Infolge der Pandemie gibt es nun einen scheinbaren Überschuss an Menschen, die für die Besetzung freier Stellen in Frage kommen. Doch damit zu rechnen, dass die Schließung von Gastronomiebetrieben und anderen Unternehmen billige Arbeitskräfte auf den Arbeitsmarkt spülen wird, ist ein Irrglaube – und gefährlich.

Erstens, Arbeitkraft ist nicht gleich Arbeitskraft. Das Problem vor der Pandemie war der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften; dieses Problem besteht nach wie vor. Qualifiziertes und geschultes Personal ist und wird weiterhin schwer zu bekommen sein. Und ja, es gibt kurzfristig mehr Menschen auf dem Arbeitsmarkt, aber kurzfristiges Denken hat in der Vergangenheit nicht für die Branche funktioniert und wird es auch in Zukunft nicht.

Zweitens ist der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften nur die eine Seite der Medaille; die andere Seite ist die Bindung von guten MitabeiterInnen. In den letzten Jahren haben wir große Fortschritte bei der Mitarbeiterqualifizierung und -bindung erlebt. Mit und nach der Pandemie wird dieses Thema ein noch wichtigerer Schwerpunkt sein. Die Erfahrungen aus Lockdowns und Restriktionen, vor allem aber die Situation auf dem Arbeitsmarkt vor einer Pandemie, werden neu definieren, wie sinnvolle Strategien aussehen müssen. Es ist jetzt an der Zeit, das Thema ernsthaft anzupacken, denn eine neue Generation an potentiellen Mitarbeitern wird auf das alte System nicht mehr ansprechen.

Der Schlüssel liegt darin, ein Umfeld für persönliches Wachstum innerhalb einer positiven und lebendigen Unternehmenskultur zu schaffen. Das ist nicht neu und trotzdem oftmals unerreichbar fern. Gen Y – die ‚Digital Natives‘ – hat bereits Gen Z im Gepäck um den Arbeitsmarkt grundlegend zu verändern. Verabschieden wir uns von dem Gedanken, dass Mitarbeiter uns lange, oder sogar auf  Lebenszeit, begleiten und bereiten uns auf eine hyperindividualisierte neue Generation vor. Der ‚War for Talent‘ konzentriert sich auf einen neuen Typ Mitarbeiter, bei dem Bedeutung und Sinn im Job und eine fortschreitende  Individualisierung auf der Fahne steht. Dieser Mitarbeiter sucht nach einer echten Work-Life-Balance, nicht nach leeren Worten in der Hochglanzbroschüre des Personalbüros. Diese Generation sucht nach einem ganzheitlich gesunden Umfeld.

Richtig, das kostet eine Menge Zeit und Geld, aber die Neuausrichtung eines Unternehmens für eine Zukunft nach einer Pandemie beginnt genau hier. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass diese Anstrengungen bereits kurzfristig zum Erfolg führen, wenn die Veränderungen mit einem großartigen und aufeinander abgestimmten Team im Rücken geschehen.

Bleiben wir realistisch, die Pandemie ist noch immer eine Bedrohung, die vor einigen Monaten undenkbar war. Die vollen Auswirkungen haben uns noch nicht getroffen. Wir bewegen uns noch immer in einem Zustand, der mit wütend, resigniert und oftmals verzweifelt am besten beschrieben ist.

Dies ist kein Versuch die aktuelle Entwicklung in der Branche zu verharmlosen. Wenn wir weitere Lockdown und die Rückkehr der Pandemie nicht beeinflussen können, so können wir uns neu positionieren, für die Zukunft die richtigen Weichen stellen. Trotz Covid-19 und steigender Herausforderungen sind Teamgeist, Motivation und der schiere Wille, die Pandemie zu überstehen, das Rückgrat der Foodservice-Branche. Die letzten Monate haben eines deutlich bewiesen: es ist eine Branche, auf die man wahrlich stolz sein kann. Denn was wir täglich sehen beweist, dass “der einzige Weg raus hindurch ist” – und das bedeutet vorwärts.

 

© Sascha Barby, 2020. All rights reserved. Titel photo by Colin D on Unsplash
This article was first published on FCSI / Foodservice Consultant.

Sascha Barby

Sascha Barby

Sascha's passion for food and the foodservice industry has driven him since he first worked in the kitchen. Projects abroad and the diversity of the industry have only increased his enthusiasm. Started as a Chef in various restaurants in Germany and Canada, completing his skills with an MBA, he now works at Rational AG in marketing.  Sascha lives with his wife and children in Bavaria near Munich.

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