Eine Küche kann ein magischer Ort sein, an dem alle, Front- und Back-of-house, synchronisiert sind. Ein hektischer Abend. Alle Tische sind reserviert, eine Gruppe mit zehn Personen, Vorspeisen, Hauptgericht und Dessert; der Abend beginnt mit einem Amuse-Bouche. Alles perfekt gedeckt, perfekt gekocht, der Service wächst über sich selbst hinaus. Qualität und tadelloser Service, die Kunden sind begeistert. Das ist es doch letztendlich, wofür wir alle arbeiten.
Ja, die Arbeit in dieser Branche ist hart. Die langen Arbeitszeiten und der Stress sind manchmal mehr, als man ertragen kann. Aber es gibt nur sehr wenige Situationen, in denen man diese tiefe Befriedigung spüren kann, wie nach einem erfolgreichen Abend – dem „perfect run“. Adrenalin pur. Diese Energie, die nach diesem Moment jagt, kann großartige Teams und Menschen hervorbringen. Oder sie zerstören.
Willkommen auf der anderen Seite
Es gibt eine dunkle Seite der Profiküche, ein “schmutziges kleines Geheimnis”, wie Gordon Ramsey einmal sagte. Es ist offensichtlich und leicht zu erkennen, besonders wenn man Teil des Teams ist. Aber selbst als Kunde sieht man die Zeichen da. Es ist ein Stigma der Branche, das wir allzu oft nicht sehen wollen.
Die Tatsache, dass die Gastronomie ein Problem mit Alkohol, Selbstmedikation und illegalen Drogen hat, ist weithin bekannt. Es wird oft ignoriert und stillschweigend akzeptiert. 27% der Köche geben an, dass sie Alkohol konsumieren, um durch die Schicht zu kommen, während 12% täglich suchtgefährdende Mengen zu sich nehmen.
Zusätzlich zu dieser alarmierenden Zahl gaben zum Zeitpunkt der Befragung 19,1% an, in den letzten vier Wochen illegale Drogen konsumiert zu haben. Letztendlich entwickeln fast 17% der Angestellten eine Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, während sie in der Branche arbeiten – etwa dreimal mehr als z.B. der amerikanische Durchschnittsbürger.
Ein giftiger Cocktail
Eine veraltete Küchenkultur
Natürlich, wir brauchen nicht zu argumentieren, dass z.B. die Küche ein harter Arbeitsplatz ist. Eine schnelle und hektische Umgebung, lange Schichten und Nächte, eine hierarchische Struktur mit gefeierten Alpha-Male Strukturen. Jeder, der eine Karriere in der Branche beginnt, weiß das. Viele – vor allem junge Männer – suchen nach dieser Art von Nervenkitzel, angetrieben von Vorbildern wie Bourdain oder Ramsey (beide kritisierten diese Küchenkultur später massiv) und einem Bild der Küche, das manchmal auf fast masochistische Weise romantisiert wird.
Die Zeichen von Stress und Erschöpfung werden wie eine Medaille getragen und Zusammenbrüche als Initiierungsriten gefeiert – jetzt gehört man dazu.
Aus Interviews mit Küchenchefs und Untersuchungen von Dr. Richard Robins von der University of Queensland wissen wir, dass vor allem junge Menschen in der Branche von einer toxischen Arbeitsumgebung besonders betroffen und nachhaltig geprägt werden.
“Work hard – party hard” – ein Mantra, das man oft hört, wenn wieder jemand verkatert und völlig verstrahlt zu seiner Schicht auftaucht. Sie haben recht, es macht Spaß, mit Freunden und Kollegen auf ein paar Drinks zusammenzutreffen und es hin und wieder zu übertreiben. Das ist ebenfalls ganz normal. Dieses Mantra wird jedoch zum Problem, wenn nichts zwischen “Arbeit” und “Party” liegt. Die Foodservice-Branche ist stark von jungen Arbeitnehmern abhängig, und gerade die Altersgruppe zwischen 18 und 25 Jahren ist besonders anfällig für exzessives Trinken – bekannt als “binge drinking” – und entwickelt daher schneller eine Alkoholabhängigkeit.
Wer in der Branche früh beginnt und es einige Jahre geschafft hat, sich darin zu behaupten, hat bewiesen, dass sie oder er mit Stress und harter Arbeit umgehen kann. Doch alles hat letztendlich seinen Preis, und wir lassen auf diesem Weg zu viele zurück. Mehr als in jeder anderen Branche. Es lohnt sich, die Mechanismen zu verstehen, die die psychische Gesundheit von Mitarbeitern schwächen und Suchtverhalten auslösen können.
Stress ist ein leiser Killer. Photo by Ayo Ogunseinde on Unsplash
Persönlicher Stress
Die unmittelbaren Arbeitsbedingungen z.B. in der Küche sind nur ein Grund für den persönlichen Stress der Beschäftigten. Viele Arbeitsplätze in der Gastronomie sind im Niedriglohnsektor angesiedelt. Seine Merkmale sind flexible Schichtpläne und hohe Fluktuation. Ein Wendepunkt wie Covid-19 tut ein Übriges und verstärkt die Ängste um Job und Familie. All diese Faktoren erhöhen den Druck auf die Beschäftigten zusätzlich.
Permanenter, durch Druck verursachter Stress führt zum chronischen Stress mit wiederkehrenden Kopfschmerzen, Schlafstörungen und Schlaflosigkeit, Müdigkeit und Veränderungen der Libido. Langfristige Auswirkungen können Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Diabetes, sexuelle Funktionsstörungen und Magen-Darm-Erkrankungen sein. In einer Studie aus dem Jahr 2017 berichteten unfassbare 51% der Köche, dass sie unter lähmendem Stress und Depressionen leiden.
Das Gefährliche ist, dass uns die Anzeichen und Auswirkungen von Stress nur sehr langsam klar werden. Und diese lassen sich mit Alkohol und anderen Substanzen zumindest zeitweise bestens unterdrücken. Es ist der Beginn eines Teufelskreises, der Stress zu einem lautlosen Killer macht und in der Industrie hinter jeder Ecke lauert. Die betroffenen Mitarbeiter sind sich der Situation nicht bewusst, in der sie sich befinden. Die Kollegen – teilweise in der gleichen Situation – schweigen kollegial.
Ein Kellner mit einer schlimmen Schnittwunde oder ein Koch mit einem gebrochenen Bein bleibt zu Hause, um zu heilen. Aber was passiert, wenn die Psyche gebrochen ist? So wichtig die Kameradschaft in der Küche auch ist, hier ist sie Fluch und Segen zugleich. Die betroffenen Mitarbeiter werden nicht einfach krank und fallen aus, sondern sie verblassen allmählich.
Zugang zu Drogen
In einem Restaurant gibt es überall Drogen, insbesondere Alkohol. In der Küche wird er zum Kochen verwendet (manchmal die gesalzene Version, damit das Küchenteam nicht auf falsche Gedanken kommt). Bier, Wein und Spirituosen gibt es an der Bar, im Lager und auf den Tischen der Gäste. Man begehrt, was man den ganzen Tag sieht.
Darüber hinaus ist es in vielen Restaurants immer noch üblich, nach der Arbeit ein Bier auf Kosten des Hauses zu trinken oder von Kunden ausgegebene Getränkerunden zu konsumieren, um den Abend ausklingen zu lassen. Was mit den besten Absichten gemeint ist und dazu beitragen soll, den Teamgeist zu stärken, führt vor allem bei jungen Mitarbeitern zu einer allmählichen Gewöhnung an Alkohol. Es ist traurig, immer noch an dieser Tradition festzuhalten, die mehr 1980 nicht sein könnte.
Der Geruch von Alkohol oder der Konsum eines Joints während einer Pause im Freien ist leicht zu erkennen, andere illegale Drogen sind es hingegen nicht. Diese Drogen finden leicht ihren Weg ins Restaurant: Durch Kollegen oder Dealer, die immer in der Branche herumschwirren.
Die Fluktuation in der Gastronomiebranche ist hoch, und viele Mitarbeiter sehen die Arbeit eher als einen Gig denn als eine langfristige Verpflichtung an. Dies macht Arbeitsplätze im Gastgewerbe attraktiv für Menschen mit Problemen wie Alkohol- oder Drogenmissbrauch, die so unerkannt bleiben können, und fördert den Zugang zu Drogen. Background-Checks mit ehemaligen Arbeitgebern werden nicht regelmäßig durchgeführt, was dazu beitragen könnte, Kandidaten zu identifizieren, die Probleme für das Team bedeuten könnten.
Ein Ausweg
Die Branche hat lange gebraucht, um zu akzeptieren, dass sie ein Suchtproblem hat. Nun sind wir endlich an einem Punkt angelangt, an dem dieses Thema offen diskutiert wird. Zusätzlich gibt es neben offiziellen Beratungsstellen auch brancheninterne Initiativen, die nicht nur bei Suchtproblemen helfen, sondern über deren Entstehen aufklären. In Deutschland informiert und hilft die BZgA, aber auch Caritas, Malteser und das DRK.
Will man ernsthaft das Thema Sucht in der Branche angehen, dann müssen die Mechanismen erkannt und abgestellt werden, die zu Drogenmissbrauch und -abhängigkeit beitragen. Es gibt Maßnahmen, die bei der Schaffung einer gesünderen Arbeitskultur in der Foodservice-Branche eine besondere Rolle spielen. Die wichtigste jedoch ist: Klare Regeln und Vorschriften als Teil der Unternehmenskultur aufzustellen.
Null-Toleranz-Strategie
Es führt kein Weg daran vorbei: Einführung einer Null-Toleranz-Strategie in Bezug auf Drogen – einschließlich Alkohol. Das bedeutet eine klare Kommunikation, dass der Konsum oder die Arbeit unter Einfluss von Drogen unzulässig ist und zu einer Verwarnung oder gar Abmahnung führt. Trotz aller Härte ist es wichtig zu erklären, warum diese Maßnahme so wichtig ist: Weil der Betrieb eben kein sozialer Raum ist, um z.B. Alkohol zu konsumieren. Auch ein Verweis darauf, dass Alkoholkonsum versicherungsrechtlich bedenklich ist oder vor Ort die Hemmschwelle für Belästigungen senken kann, unterstreicht die Wichtigkeit.
Kein „Tippen“ von Getränken
Kunden honorieren guten Service gerne durch Trinkgelder für die Mitarbeiter. Oft findet dieses „Tippen“ nicht monetär, sondern durch Runden für das Team statt. Natürlich funktioniert das nicht mit einer Null-Toleranz-Politik. Kunden werden ein: “Hey, vielen Dank, aber wir behalten die Gesundheit unseres Teams im Auge. Sie sind herzlich eingeladen, etwas auf die Rechnung aufzuschlagen, zusätzliches Trinkgeld zu geben!“ als Antwort bekommen. Auf diese Weise erhält das Team ein zusätzliches Trinkgeld und damit am Ende des Tages mehr Geld in der Tasche.
Wer passt in das Team?
Trotz eines kurzfristigen Personalüberschusses infolge der Pandemie: Die Einstellung neuer Mitarbeiter ist und bleibt eine Herausforderung an sich. Der chronische Personalmangel an qualifizierten Arbeitskräften und die Notwendigkeit, freie Stellen zu besetzen, führen häufig zu einem übereilten Einstellungsprozess. Es ist schon frustrierend genug, wenn ein Mitarbeiter nicht über die versprochenen Fähigkeiten verfügt und so zusätzliche Ausbildungs- oder Neueinstellungskosten entstehen. Suchtprobleme, die mit einem neuen Mitarbeiter „eingekauft“ werden, sind hingegen eine echte Bedrohung – vor allem für den Rest des Teams. Es macht in diesem Zusammenhang besonders Sinn, Hintergrundinformationen über einen potenziellen Mitarbeiter von seinem früheren Arbeitgeber zu erfragen. Denken Sie daran, dass Sie für eine Hintergrundüberprüfung die Zustimmung des Bewerbers einholen müssen – das ist unter Umständen nicht nur rechtlich erforderlich, sondern eine Frage der Fairness und des guten Stils.
Ausgleichsaktivitäten belohnen
Die Arbeit in der Branche ist körperlich herausfordernd, daher ist es besonders effizient, sie mit Sport auszugleichen. Laufen sollte überall möglich sein, und das Training in einem Fitnessstudio kann durch Firmenmitgliedschaften oder Zuschüsse zu den Gebühren gefördert werden. Entwickeln Sie Anreizsysteme, wenn Mitarbeiter an sportlichen Aktivitäten teilnehmen und Herausforderungen (z.B. eine “Team Challenge”) schaffen. Seien Sie der Erste, der die Sportklamotten anzieht und den Erfolg feiert!
Der richtige Treibstoff
Es ist fast schon Ironie: Menschen in einer Branche, die mit frischesten Zutaten arbeiten, haben oft alles Andere als eine ausgewogene Ernährung. Achten Sie darauf, dass die Teammahlzeiten Ihrer Mitarbeiter frische Salate, Gemüse und Obst sowie wertvolle Proteine enthalten. Bieten Sie Getränkeoptionen an, die natürlich sind und weniger Zucker enthalten. Es sollte genügend Zeit vorhanden sein, in Ruhe ein leckeres Essen zu genießen – idealerweise zusammen mit Kollegen in einer entspannten Atmosphäre.
Raum und Zeit zum Entspannen
Es ist nicht überraschend, dass Studien zeigen, wie stark soziale Aktivitäten und Entspannung zur Stressreduzierung und Erholung beitragen. Zeit mit der Familie oder mit Freunden ist “Qualitätszeit” für Diskussionen, zum Spielen, und um das Leben zu genießen. Themen, die bei Gen Y und Z auf der Tagesordnung stehen werden. Diese Qualitätszeit ermöglicht es den Arbeitnehmern, eine gesunde Work-Life-Balance aufrechtzuerhalten, und ist ein entscheidender Teil der Unternehmenskultur. Daher: Flexible Schichten und Arbeitszeiten sowie aufeinanderfolgende freie Tage, wann immer dies möglich ist, und das Einbeziehen der Mitarbeiter in den Planungsprozess.
Menschen mit Suchtproblemen leiden unterschiedlich. Photo by Dan Meyers on Unsplash
Professionelle Hilfe
In der Hektik des Alltags sehen wir oft nicht, ob wir neben einem Mitarbeiter stehen, der sein Bestes versucht, trotz aller Probleme einen guten Job zu machen. Und wenn ein Mitarbeiter mit Suchtproblemen auffällt, ist man oft ratlos, wie am besten geholfen werden kann. Ganz wichtig: Selbst der beste Manager kann nicht alles selbst lösen und hat nicht auf alles eine Antwort – niemand ist eine Insel.
Suchtprobleme gehören in professionelle Hände und einen geschützten Raum. Ungeachtet dessen können wir einen wichtigen Beitrag leisten: Schaffen wir ein alkoholfreies Arbeitsumfeld und achten mehr noch als sonst auf Anzeichen von Drogenkonsum und Suchtproblemen. Setzen wir uns frühzeitig mit den Problemen auseinander. Es geht nicht nur darum, die Resilienz bei Mitarbeitern zu fördern, sondern Stressoren zu identifizieren, die Menschen krank machen könnten. Manchmal sind es gerade diejenigen Mitarbeiter, die augenscheinlich „super drauf“ sind, die wirklich unsere Hilfe brauchen.
Menschen leiden unterschiedlich, und gerade bei Suchtproblemen haben viele bereits die Kontrolle über sich selbst verloren. Sie leben buchstäblich am Abgrund. Es spricht für unsere Branche, wenn wir ihnen die Hand reichen, ihnen ehrliche Wertschätzung entgegenbringen und sie dabei unterstützen, das gesunde Leben zu führen, das sie verdienen.